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Zuletzt aktualisiert am 26. November 2022

Evolution unseres Wissens

Hans-H. Ziegler

Von Anfang an nutzten die Menschen ihr wachsendes Wissen über die Wirklichkeit zur Verbesserung ihrer natürlichen Lebensbedingungen. Unverstandene Vorgänge schrieben sie zunächst unterschiedlichen Naturgöttern zu. Je mehr sie die Naturgesetzlichkeit verstanden, umso mehr rationale Erklärungen fanden sie.

Die Quelle des Wissens über die Wirklichkeit war zunächst die unmittelbare Erfahrung bei Aktivitäten in der Wirklichkeit. Später vermittelten Experimente und Beobachtungen auf der Erde und im Weltraum zusätzliche Informationen über die Wirklichkeit. Die Bewertung der dabei gewonnenen Daten kam allerdings nicht ohne subjektive apriorische Annahmen über die Wirklichkeit aus.

Vor ca. 2500 Jahren formulierten die Philosophen des antiken Griechenlands ein erstes rationales Weltbild. Thales und Anaximander nahmen für den Kosmos einem Urstoff an. Für Thales war es Wasser, für Anaximander das grenzenlose „Apeiron“. Andere Philosophen der Antike brachten andere Ideen ein. Das so entstandene antike Weltbild beförderte nicht nur die Verbesserung der Lebensbedingungen für die Menschen unter den gegebenen natürlichen Bedingungen, sondern auch ihr geordnetes Zusammenleben in der Gemeinschaft. Das antike Griechenland wurde zur Wiege der Demokratie.

Die Notwendigkeit zum geordneten Zusammenleben in der Gemeinschaft trug auch dazu bei, den Übergang von den Naturreligionen mit vielen Göttern zu monotheistischen Religionen mit strengen Geboten für das Verhalten des Einzelnen in der Gemeinschaft zu vollziehen, z. B. durch die 10 Gebote der Bibel.

Die Bibel bildete das antike geozentrische Weltbild ab, in dem die Himmelskörper um die Erde kreisen. Dieses Weltbild wurde zum Dogma der christlichen Kirche. Im 17. Jahrhundert ersetzten es die Gründungsväter der modernen Physik durch das heliozentrische Bild, in dem die Erde zusammen mit anderen Planeten um die Sonne kreist. Die Sterne wurden zu Fixsternen.

Das heliozentrische Weltbild ebnete den Weg der Physik zur modernen Naturwissenschaft. Giordano Bruno (1548 – 1600) nahm zunächst statt der Unendlichkeit Gottes die Unendlichkeit des Raumes an. Er wurde in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Später bestritten René Descartes (1596 – 1650) und Blaise Pascal (1623 – 1662) die Existenz des leeren Raumes in der Wirklichkeit.

Für die Grundfragen einer rationalen Wirklichkeitsinterpretation hatte die Philosophie den Begriff „Metaphysik“ eingeführt. Der griechische Vorsatz „meta“ bedeutet „hinter“ der Physik. Der Begriff bezeichnete anfangs die 14 Abhandlungen des antiken griechischen Philosophen Aristoteles (384 – 322 v. Chr.). Später wurde er zum Sammelbegriff aller rationalen apriorischen Annahmen der Physik über die Wirklichkeit. Kant (1724 – 1804) sprach von der „Metaphysik der Natur“.

Die Interpretation von Raum und Zeit nimmt in der Metaphysik einen gewichtigen Platz ein. Mit dem sich entwickelnden Weltbild der modernen Physik wurden Raum und Zeit zu festen Bestandteilen der Wirklichkeit. Bereits mit seinem Fallgesetz hatte Galileo Galilei (1564 – 1642) Raum und Zeit zu physikalischen Größen gemacht. Newton (1643 – 1726) ging von einem absoluten unbeweglichen Raum aus, in dem sich die Körper als beobachtbare materielle Objekte bewegen. Die Zeit betrachtete er als absolut und gleichförmig. Er konnte so die Positionen der Körper sowie die Art und die Dauer ihrer Bewegungen entsprechend den Beobachtungen bestimmen.

Die klassische Optik nahm im Raum den masselosen Äther als Trägermaterial für die Lichtwellen an. Mit der Entdeckung der elektromagnetischen Felder im 19. Jahrhundert bekam der Raum physikalische Eigenschaften. Mehr noch. Als sich bei einem Versuch die Bewegung der Erde durch den Weltraum nicht mit der Geschwindigkeit des emittierten Lichtes addieren ließ, wurde die Kontraktion des Raumes angenommen. Einstein (1879 – 1955) erklärte sie 1905 mit seiner speziellen Relativitätstheorie. Aus den Prinzipien, die der Theorie zugrunde lagen, folgte aus der Raumkontraktion mathematisch die Zeitdilatation.

Die Gravitation erklärte Einstein 1915 mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie durch den gekrümmten Raum. Später führte die Kosmologie noch die Expansion des Weltraumes ein, um die Lichtgeschwindigkeit als Grenzgeschwindigkeit aller Relativbewegungen nicht infrage stellen zu müssen.

Die Teilchenphysik des 20. Jahrhunderts steuerte eigene apriorische Annahmen zum physikalischen Weltbild bei, geschlussfolgert aus speziellen Versuchen bzw. aus den Theorien selbst. Beispiele sind der „Welle-Teilchen Dualismus“ und die „Nichtlokalität“ von Zustandsänderungen. Der Welle-Teilchen Dualismus überlässt es dem Betrachter, die Teilchen entweder als diskrete Materie oder, in Form räumlich ausgedehnter Wellen, als kontinuierliche Materie anzusehen. Die Nichtlokalität unterstellt Wechselwirkungen ohne Impulsaustausch. Eine Vorstellung, der Einstein vehement widersprach.

Mit ihren gegenwärtigen Theorien und Modellen beschreiben Teilchenphysik und Kosmologie mehr oder weniger virtuelle Welten. Damit gelang es zwar, Experimente und Beobachtungen rational zu erklären, teilweise jedoch in Konflikt mit anderen Experimenten und Beobachtungen bzw. in Konflikt mit den direkten Erfahrungen in der Wirklichkeit.

Bedingt durch den heute erreichten Entwicklungstand von Techniken und Technologien erfordert zukünftiges Handeln des Menschen in Natur und Gesellschaft eine Interpretation der Wirklichkeit entsprechend dem heute verfügbaren Wissen. Nur so lassen sich gefährliche Entwicklungen für die menschliche Zivilisation vermeiden. Die Physik muss zu einer solchen Interpretation beitragen.

Das setzt voraus, dass die apriorischen Annahmen über die Wirklichkeit in voller Übereinstimmung mit allen heute verfügbaren Daten aus Experimenten und Beobachtungen formuliert werden. Ein weiteres Kriterium muss die volle Übereinstimmung ihrer Theorien und Modelle mit den direkten Erfahrungen des Menschen in der Wirklichkeit sein. Darüber hinaus muss die Physik mit der benutzten Mathematik die Wirklichkeit ohne virtuelle Sachverhalte abbilden. Das schließt die strikte Beachtung der Naturgesetze ein, die in der Wirklichkeit die Wechselwirkungen steuern, ebenso die korrekte Interpretation von Raum und Zeit. Die Mathematik an sich ist kein Beweis für die Gültigkeit von Theorien und Modellen.

Die nachfolgenden Beiträge wurden unter diesen Aspekten formuliert.